Perfektionismus beim Sprachenlernen?! Geht das zusammen? Nein, tut es nicht und soll es auch nicht, denn falscher Perfektionismus wird dir die Freude an der Sprache (und allem anderen) rauben.
Eine Geschichte zu Beginn
Christine teilte einst eine schöne Geschichte mit mir, die sie von Ihrem italienischen Freund erhielt. Sie geht wie folgt:
Der schwarze Punkt
Eines Tages kam ein Professor in die Klasse und schlug einen Überraschungstest vor. Er verteilte sogleich das Aufgabenblatt, das wie üblich mit dem Text nach unten zeigte. Dann forderte er seine Studenten auf, das Blatt umzudrehen und zu beginnen. Zur Überraschung aller Studenten gab es keine Fragen, nur einen schwarzen Punkt in der Mitte der Seite.
Nun erklärte der Professor Folgendes: Ich möchte Sie bitten, das aufzuschreiben, was Sie sehen. Die Schüler waren verwirrt, aber begannen mit ihrer Arbeit. Am Ende der Stunde sammelte der Professor alle Antworten ein und begann, sie laut vorzulesen. Alle Schüler ohne Ausnahme hatten den schwarzen Punkt beschrieben: seine Position in der Mitte des Blattes, seine Lage im Raum, sein Größenverhältnis zum Papier und so weiter.
Die Moral von der Geschicht‘
Nun lächelte der Professor und sagte: Ich wollte Ihnen eine Aufgabe zum Nachdenken geben. Niemand hat etwas über den weißen Teil des Papiers geschrieben. Jeder konzentrierte sich auf den schwarzen Punkt – und das Gleiche geschieht in unserem Leben. Wir haben ein weißes Papier erhalten, um es zu nutzen und zu genießen, aber wir konzentrieren uns immer nur auf die dunklen Flecken.
Unser Leben ist ein Geschenk, dass wir mit Liebe und Sorgfalt hüten sollten und es gibt eigentlich immer einen Grund zum Feiern: die Natur erneuert sich jeden Tag, unsere Freunde, unsere Familie, die Arbeit, die uns eine Existenz bietet, die Wunder, die wir jeden Tag sehen. Oft sind wir aber nur auf die dunklen Flecken konzentriert: Die gesundheitlichen Probleme, der Mangel an Geld, die komplizierte Beziehung mit einem Familienmitglied, die Enttäuschung mit einem Freund. Nehmen Sie die schwarzen Punkte wahr, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit aber mehr auf das gesamte weiße Papier und damit auf die Möglichkeiten und glücklichen Momente in ihrem Leben.
Was diese kleine Geschichte mit dem Thema Perfektionismus und Sprachenlernen zu tun hat? Sehr viel, wie Sie gleich feststellen werden!
Gute Vorsätze und die Falle Perfektionismus
Häufig werden gerade zu Beginn eines Jahres gute Vorsätze gefasst. Dabei mangelt es nicht an Motivation – daher fallen diese guten Vorsätze auch meist sehr ambitioniert aus. Nicht selten hört man dann:
- „Ich lerne jeden Tag mindestens eineinhalb Stunden Spanisch!“ oder
- „Jeden zweiten Tag arbeite ich 4 Seiten in meiner Italienischgrammatik durch!“ oder
- „Ich belege ab Februar einen Intensiv-Englischkurs mit 3 Terminen pro Woche!“
Sie wissen zwar, dass Sie beruflich sehr eingespannt sind und dass Sie auch familiäre Verpflichtungen haben, aber wenn Sie schon eine Sprache lernen, dann „gleich richtig!“. Warnung vorab, dies klingt nach falschem Perfektionismus beim Sprachenlernen!
Kennen Sie das?
Sie haben also angefangen zu lernen, einen Tag, zwei Tage, vielleicht sogar drei. Was ist dann passiert? Haben Sie festgestellt, Ihre guten Vorsätze à la „4 Seiten pro Tag“ oder „3 Sprachkurs-Termine pro Woche“ waren viel zu ambitioniert und sind im wirklichen Leben kaum zu schaffen? Haben Sie dann widerwillig weitergelernt, gemäß dem Motto „Was man anfängt, zieht man auch durch!“ oder haben Sie gleich komplett aufgehört? Vielleicht hat Ihnen Ihr Perfektionismus gleich einen Strich durch die Rechnung gemacht und Sie haben gar nicht erst angefangen, weil das perfekte Material, der perfekte Tag, die perfekte Umgebung einfach noch nicht vorhanden waren.
Die dunkle Seite des Perfektionismus
Prinzipiell ist es nicht schlecht, perfektionistisch veranlagt zu sein. Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein und Ehrgeiz sind auch beim Sprachenlernen wichtige Eigenschaften für den Erfolg, aber …
… Perfektionismus ist dann schlecht, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nur noch darauf richten, bei sich selbst Ihre (sprachlichen) Fehler und Schwächen zu sehen. Sie stellen sich selbst als eine Art Versager hin, sobald Sie sich auch nur einen einzigen Fehler in einer Übung erlaubt haben oder eine Lerneinheit verpasst haben.
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Diese Selbstverurteilung hat aber nicht nur Auswirkungen auf Ihr Lernverhalten an sich – vermutlich lernen Sie nicht mehr, weil Sie es wollen, sondern aus einem inneren Zwang heraus -, sondern führt zu Anspannung, Stress, Frustration und mangelndem Selbstvertrauen. Irgendwann können Sie sich nicht mehr über Ihre eigenen Leistungen freuen.
Perfektionismus adé – So geht es besser!
Die Verbindung zum schwarzen Punkt: Sehen Sie doch nicht die Arbeit und die schwarzen Punkte bei Ihrem Vorhaben! Konzentrieren Sie sich vielmehr auf das weiße Blatt, die positiven Aspekte, die das Lernen einer Sprache mit sich bringt. Welche das sind? Sie lernen doch, damit …
- Sie García Marquez im Original lesen können,
- Sie keine Übersetzung mehr bei Filmen wie Midnight in Paris von Woody Allen brauchen,
- Sie Buchhandlungen, Restaurants und Theateraufführungen in Italien oder in den USA besuchen können.
Sie lieben doch das Reisen, die Besuche bei ausländischen Freunden, die Skype-Unterhaltungen mit Ihren Tandempartnern. Das sind die weißen Felder des Blattes – konzentrieren Sie sich darauf! Dazu einige konkrete Tipps:
Richten Sie sich bei Ihrer Zielsetzung nach Ihren Fähigkeiten
Setzen Sie Ihr Ziel angemessen an. Es ist nämlich für das Selbstwertgefühl besser, nach oben anzupassen, also das Pensum zu steigern, als nach unten, also das Pensum zu reduzieren. Eine tolle App, die mit kurzweiligen Lektionen zum Sprachenlernen einlädt, ist beispielsweise Mondly. Fangen Sie klein an und steigern sich dann.
Denken Sie auch daran, dass Ihr Ziel nicht zu schwammig formuliert ist – Sie brauchen eine Formulierung mit einem Termin und genauer Zieldefinition. Nur „Ich möchte eine Sprache lernen“ reicht nicht aus.
talkREAL-Tipp! Damit Sie sich auch die richtigen Ziele setzen, die Sie komplett durch Ihr Sprachabenteuer tragen, haben wir den sogenannten smartHACK entwickelt. Sie finden ihn wie alle unsere Sprachlerntipps auf unserem Lernportal.
Machen Sie Fehler beim Sprechen und Schreiben
Wichtig ist, die Sprache anzuwenden. Es ist klar, dass dabei auch Fehler passieren – und das ist auch notwendig, denn nicht umsonst heißt es: Aus Fehlern lernt man. Nehmen Sie also die Fehler als das, was sie sind: Als ein Hinweis darauf, was Sie in der Sprachverwendung noch üben sollten.
Da Fehler beim Fremdsprachenerwerb einfach unvermeidbar sind, ist es eigentlich doch offensichtlich, dass Perfektionismus und Sprachenlernen nicht zusammen passen, oder?
Übrigens: Sprechen lernt man nur durch Sprechen, Schreiben nur durch Schreiben. Schwimmen lernen Sie ja auch nicht durch das Hochklettern von Kletterwänden. Zu diesem Thema ist ein Artikel auf unserem Blog erschienen, darin gehen wir genau auf die Bedeutung von Fehlern ein. Sie finden darin auch Strategien, wie Sie sich bei Fehlern verhalten sollten.
Sprachenlernen braucht Zeit
Erwarten Sie keine Höchstleistungen nach der ersten Sprachstunde. Sprachenlernen braucht einfach seine Zeit. Wie Sie sich vorstellen können, gibt es auch keine Wunder. Wenn Ihnen jemand verspricht, Sie lernen in 2 Wochen eine Sprache fließend, dann hat derjenige entweder eine sonderbare Definition von „fließend“ oder er sagt Ihnen schlichtweg nicht die Wahrheit.
Auch Tour-de-France- oder Formel-Eins-Fahrer haben die Titel nicht gleich nach der dritten Runde gewonnen. Wenn Sie die Karriere von Nick Rosberg mitverfolgt haben, wissen Sie, dass er in einem Interview gesagt hat, dass es vom Entschluss, Weltmeister zu werden, bis zum tatsächlichen Erreichen dieses Zieles 25 Jahre gedauert hat. Die gute Nachricht: So lange werden Sie zum Erlernen einer Sprache nicht brauchen.
Unperfekt ist menschlich
Unperfektes ist menschlich und Sie möchten bestimmt kein wandelnder, allwissender und womöglich alles besserwissender Mensch ohne Ecken und Kanten und ohne Unsicherheiten sein. Solche Menschen sind mir persönlich sehr suspekt und wirken auf mich auch sehr unsympathisch. Lieber machen Sie den einen oder anderen Fehler und wirken sympathisch, authentisch und menschlich auf Ihre Mitmenschen. Was nützt Ihnen eine perfekte Sprachkenntnis, wenn niemand mit Ihnen sprechen möchte?
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Behalten Sie die Kontrolle über Ihr Tun
Lassen Sie es nicht zu, dass Perfektionismus Ihnen die Freude am Lernen verdirbt. Suchen Sie sich vielmehr gezielt angenehme Beschäftigungen mit der Sprache – nicht nur am Schreibtisch. Auch in der Küche, bei Stadtführungen, mit der App, bei Unterhaltungen mit Freunden, bei Museums-, Kino- und Theaterbesuchen und nicht zuletzt im Restaurant oder in der Bar lässt es sich vortrefflich lernen. So beugen Sie übertriebenem Ehrgeiz vor und behalten sich den Spaß an der Sache. Genau deshalb haben Sie doch angefangen zu lernen, oder?
talkREAL-Lesetipp! Hier haben wir einige Sprachaktivitäten für den Alltag zusammengetragen. Lassen Sie sich gerne inspirieren.
Falscher Perfektionismus und Sprachenlernen passen nicht zusammen
Lassen Sie sich darauf ein und Sie werden feststellen, dass Sie eins werden mit der Sprache und dass übertriebener Perfektionismus keinen Platz in Ihrem Leben hat. Sie merken, wie sich das Sprachenlernen für Sie lohnt, wenn Sie mit spanischen Freunden um die Häuser ziehen, den französischen Kinofilm verstehen oder ein Päckchen mit einem Brief und einigen Süßigkeiten von Ihrer englischen Sprachfreundin erhalten. So bereichern dann Sprachen auch Ihr Leben!
Titelbild: © Depositphotos.com/AndreyPopov